Netzwerktagung 2016

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Projektpartner aus vielen Teilen Deutschlands kamen auf Einladung der Georg Kraus Stiftung zur Netzwerktagung nach Hagen.

38 Experten in Fragen globaler Entwicklung trafen sich am 12. März 2016 im Haus Busch. Sie engagieren sich in achtzehn gemeinnützigen Vereinen, ihr Thema ist die Entwicklungszusammenarbeit mit Partnern in Entwicklungsländern, in Afrika, Lateinamerika oder Teilen Asiens. Die Widrigkeiten wie Bürgerkriege, Umweltkatastrophen oder korrupte politische Eliten in ihren Partnerländern halten sie nicht von ihrem Engagement für ein besseres Leben in den Ländern des Südens ab.
Neben der gegenseitigen Information und Beratung stand dieses Jahr die inhaltliche Auseinandersetzung zum Thema “Eine Hälfte der Welt kann ohne die andere nicht leben. Zivilgesellschaftliches Engagement für Entwicklungszusammenarbeit zwischen Erfolg und Frustration“ auf dem Programm. Der Referent Heinz Meyer, ehemaliger Dozent für Entwicklungsfragen an der Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster, legte die großen Linien der Entwicklungspolitik in Deutschland dar.
Deutschland gründete 1961 das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit“, in einer Zeit der Entkoloniasierung, vor allem in Afrika, sowie des Kalten Krieges und der Ideologisierung im geteilten Europa. Die Weltbevölkerung hat sich seitdem vervierfacht, der Kalte Krieg ist beendet. Globalisierung, Klimawandel, Digitale Revolution und internationaler Terrorismus stellt die Entwicklungszusammenarbeit vor immer neue Herausforderungen. Das Selbstverständnis der Entwicklungszusammenarbeit hat sich in diesen mehr als 50 Jahren radikal verändert.
Der Ansatz von der „Patenschaft zur Partnerschaft“ nimmt wechselseitige Abhängigkeiten in den Blick auf dem Weg zu einer Art “Weltinnenpolitik”, vor allem auch aufgrund der Zunahme internationaler Akteure.
„Die Probleme der Welt machen vor unseren Türen nicht halt. Wir müssen uns um sie kümmern, um zu deeskalieren, die Zuspitzung von Konflikten zu verhindern und um negative Rückwirkungen auf uns zu verhindern“, so Heinz Meyer.
Heinz Meyer

Warum engagieren sich Menschen für Entwicklungszusammenarbeit? Sie wollen die Armut in Entwicklungsländern verringern, den friedlichen Interessenausgleich zwischen Nord und Süd, zwischen Industrie- und Entwicklungsländern fördern. Die Welt heute ist multipolar, pluralistisch, deshalb gilt es der zunehmenden Polarisierung entgegenzuwirken, Asymmetrien zu verringern und der Gewalt Grenzen zu setzen.
Entwicklungszusammenarbeit ist keine Einbahnstraße, vielmehr ein wechselseitiger Lernprozess, der Zeit braucht. Es gibt keine fertigen Antworten und Patentrezepte, sondern Widersprüche. Es ist ein Leben in unterschiedlichen Welten mit verschiedenen Ethnien, Kulturen, Religionen, Wirtschaftszonen, in denen eben auch unterschiedliche “Lebenslogiken” existieren.
Und es gibt Widersprüche in Deutschland zwischen eigenen Interessen und eigenem Handeln ( z.B. Export von Hühnerfleisch und von Müll und Elektroschott nach Afrika, extensiver Fischfang vor Ost-Afrikas Küsten, negative Effekte von Altkleiderexporten, Ausbeutungsverhältnisse in asiatischen Textilfabriken ).
Heinz Meyer plädiert für Langfristpolitik , die ein mühsames Unterfangen ist. Historisch geht es ihm darum in Dimensionen eines Marshallplans zu denken.
Entwicklungszusammenarbeit braucht ein Gesicht, weil auch die Armut ein Gesicht hat. Ebenso braucht Solidarität ein Gesicht: Entwicklungshelfer, Freiwillige, Mitarbeiter internationaler Einrichtungen, Mitglieder von Eine-Welt-Gruppen. Es braucht auch das Engagement von Einzelpersonen, die eine Vorbild-Funktion übernommen haben und gewissermaßen zu Symbolen der Solidarität geworden sind: Albert Schweitzer, Mutter Theresa, Rupert Neudeck.
Und schließlich: es stärkt und macht Mut, wenn Menschen in Entwicklungsländern erfahren, dass ihnen von außen geholfen wird, dass sie nicht allein gelassen sind. Von großer Bedeutung sind auch Partnerbesuche: mit eigenen Augen sehen, direkte Gespräche sowie auch Gegenbesuche. Dazu gehören auch die Stiftungsreisen sowie andere Formen eines “intelligenten” Tourismus.
Entwicklungszusammenarbeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wenn die Politiker wüssten, dass sie mit mehr Anstrengungen in der Entwicklungshilfe Wählerstimmen einfangen könnten, würden sie sich mehr für die Entwicklungspolitik einsetzen. Die Realität sieht jedoch anders aus, die vermeintlichen Eigeninteressen dominieren. Dennoch „… können wir uns nicht leisten andere Länder mit ihren Problemen allein zu lassen, weil sich daraus negative Rückwirkungen für uns ergeben könnten… Nord und Süd, Ost und West leben heute mehr denn je ‚in einem Boot‘” so der Referent. In diesen Feldern liegen die Chancen und Aufgaben entwicklungspolitischer Initiativen. Sie nehmen die globalen Herausforderungen an und sehen lokale Auswirkungen und Antworten mit ihren Zeichen praktischer Solidarität. Diese NGOs können freier arbeiten, müssen keine Rücksicht auf staatliche oder verbandliche Interessen nehmen, ohne dabei politische oder staatliche Akteure ersetzen zu können.
Entwicklung ist der neue Name für Friede. Die Probleme der Welt machen vor unseren Türen nicht Halt; wir sitzen alle in einem Boot; wir können nicht in Frieden leben, wenn es den Mitbewohnern in der Einen Welt schlecht geht. Also: “Eine Hälfte der Welt kann ohne die andere nicht leben.”: Vor 60 Jahren schrieb Papst Paul VI in seiner Enzyklika „Populorum Progressio: „…weniger menschlich: das sind die materiellen Nöte derer, denen das Existenzminimum fehlt. Menschlicher: das ist der Aufstieg aus dem Elend zum Besitz des Lebensnotwendigen, die Überwindung der sozialen Missstände, die Erweiterung des Wissens, der Erwerb von Bildung.” (PP 21) „Zu dieser Aufgabe, die Welt ein wenig menschlicher zu machen, leisten Eine-Welt-Initiativen wie hier bei der Netzwerktagung einen kleinen, aber unverzichtbaren Beitrag“, schließt Heinz Meyer seine Ausführungen.
Die Intensität der anschließenden Diskussionen und Gespräche manifestierte, wie sehr Heinz Meyer mit seinen Ausführungen „den Nagel auf den Kopf getroffen hatte“.
„Es war schon beeindruckend, wie kompetent und tiefgehend die Diskussionen und Gespräche der diesjährigen Netzwerktagung waren“, so Dominic Ponatu  von der Hagener Initiative „Bildungschancen für Frauen in Indien“.